Gendern für Nerds
Warum Gendern oder Entgendern?
Im Deutschen fallen wir traditionell auf die männliche Form zurück, wenn wir kein Geschlecht kennen oder im Allgemeinen sprechen. Als Beispiel, wenn Sie die Frage stellen: „Können Sie mir einen Zahnarzt empfehlen?“, fragen sie wahrscheinlich nicht explizit nach einem männlichen Zahnarzt, sondern suchen generell eine:n Zahnarzt:in, dessen Geschlecht Ihnen nicht wichtig ist. Sie sehen schon, das ist gar nicht so einfach mit der geschlechtsneutralen Ausdrucksform!
Aber ist das ein Problem? Gegenfrage: Haben Sie eine Tochter? Oder ein Kind, das sich nicht im binären männlich-weiblich wiederfindet? Dann lernt dieses Kind durch zuhören, dass es kein Zahnarzt werden kann, denn das ist ja ein Männerberuf. Aber doch nicht von einmal! Stimmt, doch „steter Tropfen höhlt den Stein.“ Ihr Kind hört nicht nur Ihnen zu, es hört „die Welt“ und lernt dass Anwälte, Steuerberater und Ärzte Männerberufe sind, wogegen Putzfrauen, Hebammen und Krankenschwestern Frauenberufe sind. Verstehen Sie mich nicht falsch, alle dieser Berufe sind wichtig und ich möchte durch dieses Beispiel keinen davon abwerten.
Diese stereotypischen Vorstellungen können einen beschränkenden Einfluss auf unser Verhalten und unsere Gesellschaft entfalten. Sie beeinflussen unser Denken von den Zukunftsträumen des Einzelnen bis zum Umgang miteinander.
Um nicht auf eine stereotypische Form zurückgreifen zu müssen, während uns eine Einordnung in männlich oder weiblich nicht möglich ist, gendern wir. Selten sind die Gegenargumente gegen inklusive Sprache wirklich Argumente gegen das Gendern an
sich, sondern Argumente gegen Genderzeichen-Schreibweisen wie Anwalt:in oder Fluchtworte wie Rechtsvertretung. Das kann ich verstehen, damit tue ich mir auch schwer. Da ich jedoch von der Motivation hinter dem Gendern überzeugt bin, werde ich mich so schnell von ein paar Sonderzeichen nicht geschlagen geben!
Was ist Gendern
Beim Gendern fügen wir der Sprache eine Form hinzu, in der mehrere Geschlechter gleichzeitig beschrieben werden. Genauer genommen nutzen wir die weibliche und die männliche Form und signalisieren durch ein zusätzliches Zeichen, dass wir auch nicht-binäre Geschlechter ansprechen. Dieses zusätzliche Zeichen, auch Genderzeichen genannt, ist zumeist einen Stern, Doppelpunkt oder Unterstrich (*, :, _). So entsteht aus der traditionellen Grundform „der Lehrer“ die gegenderte Form: „der:die Lehrer:in.“ Ausgesprochen wird das Genderzeichen als Glottisschlag. Ein Glottisschlag ist eine sehr kurze Pause. Sie kennen den Glottisschlag bereits aus anderen Worten wie „Spiegelei,“ er ist zwischen „Spiegel“ und „ei.“
Soweit so gut, doch wie Sie bereits sehen konnten, muss nicht nur „Lehrer“ zu „Lehrer:in“ werden, sondern auch „der“ zu „der:die“. Gerade wenn ein Text länger wird, kann es mit der Zeit ermüdend werden gegendert zu lesen und zu schreiben. Uns gehen auch praktische Abkürzungen verloren, denn um „vom Lehrer“ zu sprechen müssen wir „von dem:der Lerher:in“ sprechen, ein „vom:von der Lehrer:in“ ließt sich einfach nicht gut. Wie könnte es also besser gehen?
Was ist Entgendern
Im Gegensatz zum Gendern, geht es beim Entgendern darum nicht mehrere Geschlechter zu repräsentieren, sondern keines. Es wird ein Neutrum eingeführt, mit dem wir geschlechtsneutral sprechen. Es gibt die x-Variante, bei der Professx, Studentx und ähnlich entstehen, und die für mich deutlich angenehmer zu lesende y-Variante. Hier gibt es einen seit 1992 dokumentierten Ansatz, das Entgendern nach Phettberg. Der Künstler und Schriftsteller schrieb damals einfach vom Lesy statt von Leserinnen und Lesern. Das Pronomensystem folgt dem Neutrum: „Das Lesy hat seinen Regenschirm vergessen.“ Wobei es im Deutschen inzwischen auch grammatikalisch korrekt ist von „ihrem“ Regenschirm zu sprechen ohne dadurch das weibilche Geschlecht zuzuweisen.
Persönlich finde ich diese Form zusammen mit dem Pronomensystem des Neutrums sehr umgänglich. Phettberg kommt ohne Sonderzeichen aus und erweitert die Sprache auf eine Art die nicht nur leicht zu lesen ist, sondern meiner Meinung nach auch gute Laune macht: Aus dem:der Lehrer:in wird ganz einfach und elegant das Lehry im Singular und die Lehrys im Plural. Das ist sowohl erheiternd für unsere Ohren, als auch praktisch! Beides Eigenschaften, die wir in der Sprache gut gebrauchen können.
Die Bundeszentrale für politische Bildung erklärt das Entgendern nach Phettberg im Artikel vom 28.01.2022 so:
Ein […] Vorschlag für geschlechtsneutrales Formulieren […] ist das Entgendern nach Hermes Phettberg. Der österreichische Künstler und Schriftsteller nutzte diese Form erstmals 1992 in seiner Kolumne [in der] Wiener Wochenzeitung "Falter". […S]ie funktioniert ohne Sonderzeichen und baut auf dem bestehenden Sprachsystem auf: Für alle Personenbezeichnungen wird der neutrale Artikel "das" verwendet, an den Wortstamm wird im Singular -y und im Plural -ys angehängt. Das bedeutet, aus Leser*innen werden Lesys. Das gilt für alle Personenbezeichnungen, die mit der Endung -er*in gebildet werden, und auch für alle anderen Personenbezeichnungen. Aus dem*der Lehrer*in wird das Lehry, aus Wirt*innen werden Wirtys und so weiter. Das Pronomensystem folgt dabei der bestehenden grammatischen Form des Neutrums, zum Beispiel: "Das Wirty hat seinen Lippenstift vergessen".
Ich habe mich für diesen Weg entschieden. Wenn Sie also das nächste Mal in einem meiner Texte über ein Apotheky oder ein Busfahry stolpern, dann wissen Sie jetzt warum. Und wenn Sie mehr zu meiner Motivation erfahren wollen, lesen Sie weiter.
Warum ich entgendere statt zu Gendern
1 — Ich habe persönlich eine Abneigung dagegen Sonderzeichen für mehr als eine Funktion einzusetzen. Sie kennen beispielsweise den Asterisk,* den Stern am Ende eines Wortes, der auf Fußnoten verweist. Genauso signalisiert ein: Doppelpunkt eine klare Bedeutung, und der_Unterstrich wird bisher hauptsächlich genutzt um nach Bedarf Leerzeichen zu ersetzen. Vielleicht würde ich dafür warm, wenn wir ein neues Sonderzeichen (er)fänden um zu gendern. Aber auch ein solche Sonderzeichen würde das obligatorische er:sie vor dem gegenderten Substantiv nicht retten. Auch stört mich, dass hier männlich und weiblich einfach mit einem Sonderzeichen verbunden werden, welches dann symbolisch für alle Anderen steht. Es fühlt sich faul und unkreativ an.
2 — Sonderzeichen sind ein Problem für Menschen, die darauf angewiesen sind sich von Ihrem Computer Texte vorlesen zu lassen. Sogenannte Screen-Reader, also Software die den Inhalt des Bildschirms vorliest und beschreibt, sind in den letzten Jahren deutlich besser geworden. Aber solche Software ist dennoch weiterhin sehr limitiert. Ein Genderstern, -doppelpunkt oder -unterstrich wird nicht zuverlässig korrekt vorgelesen und damit werden durch Sonderzeichen gegenderte Texte für Menschen mit reduziertem Sehvermögen und Blinde schwerer bis unzugänglich. Ich halte das für ein nicht akzeptables Übel. Texte in denen jedoch aus einem Lehrer ein Lehry wird, können vom Computer in der Regel problemlos vorgelesen werden.
3 — Das umfunktionieren bereits im Einsatz befindlicher Zeichen ist auch aus technologischer Perspektive problematisch. Hier als Beispiel Markdown:
Markdown ist eine an Popularität stets zunehmende Auszeichnungssprache, in der durch Sonderzeichen Formatierungen definiert werden. Sonderzeichen sind in Markdown also Steuerzeichen, die für den Computer eine Anweisung codieren. Texte, die in Markdown verfasst werden, werden unter Anderem mit Sternen und Unterstrichen formatiert. Diese Zeichen werden nicht ohne Weiteres im finalen Text angezeigt. Hier ein Beispiel:
In dieser Zeile ist ein Wort hervorgehoben.
Wie der Text im Texteditor aussieht:
In dieser Zeile ist ein Wort *hervorgehoben.*
Natürlich ist der Genderstern in Markdown möglich, aber um diesen zu tippen muss er als Sonderzeichen deklariert werden, denn sonst ist er ein Steuerzeichen. Was heißt das? Der Genderstern in Markdown muss als Apotheker\*in
, nicht als Apotheker*in
geschrieben werden. Sonst startet der * eine Hervorhebung, die den Text bis zum nächsten Absatz formatiert. Ist doch kein Problem, oder? Es ist schon sehr wahrscheinlich, dass es hier zu Fehlern kommt…
Alles in Allem scheint es mir die bessere Wahl das Geschlecht nur zu schreiben, wenn es relevant ist, statt zu gendern. Die Sprache um ein Neutrum, die Endung -y bzw. -ys, zu erweitern, erscheint mir als die logische und angenehmste Herangehensweise.